Ein US-Schüler und seine Anwälte kassieren 150.000 Dollar von Amazon. Grund für den Geldsegen: Der Online-Händler hatte Orwells "1984" vom Kindle des Jungen gelöscht, seine elektronischen Hausaufgaben waren damit wertlos. Die Einigung könnte Auswirkungen auf das digitale Geschäft der Zukunft haben.
Seattle - Justin Gawronski dürfte als der Schüler mit den teuersten Hausaufgaben der Welt in die Geschichte eingehen. 150.000 Dollar bekommen seine Anwaltskanzlei KamberEdelson LLC und er selbst vom Online-Buchhändler Amazon. Grund für den Geldsegen: Amazon hatte eine Digitalkopie von George Orwells "1984" von Gawronskis Kindle gelöscht.
"1984", Orwells Dystopie über einen fiktiven Überwachungsstaat, war die Schullektüre des 17-Jährigen gewesen. Er hatte den Kindle auch dazu benutzt, das Werk zu bearbeiten. Das Lesegerät bietet unter anderem die Möglichkeit, auf ihm gespeicherte E-Bücher mit Randnotizen - etwa für eine Hausarbeit - zu versehen.
Gawronskis Anwälte verwiesen auf "umfangreiche Notizen", die Amazon mit der Digitalkopie von "1984" zwar nicht gelöscht, aber durch das Verschwinden des Bezugstextes unbrauchbar gemacht habe. Die Kanzlei erhält nun 150.000 Dollar, wie den Unterlagen zu der Einigung zu entnehmen ist, die das US-Fachangebot "TechFlash" aus Seattle ausgrub und verlinkte.
Die Kanzlei selbst begnügt sich offenbar mit der Publicity, die ihr der Fall einbringen wird - in den Papieren ist explizit vermerkt, die Anwälte würden ihren Teil der 150.000 Dollar an "eine wohltätige Organisation" spenden, und zwar eine, die sich mit "Lesefähigkeit, den Problemen von Kindern, Bildung, Gesundheit oder Arbeitsplatzsuche" befasst. Welchen Anteil der stolzen Summe der Schüler selbst bekommt, wurde nicht mitgeteilt. Amazon wollte die Einigung nicht kommentieren.
Einigung mit Tragweite
Die Tragweite des Falls geht jedoch weit über die Strafzahlung hinaus: Amazon verpflichtet sich in dem Dokument zur außergerichtlichen Einigung auch dazu, solche Löschaktionen in Zukunft nicht mehr oder nur noch unter sehr eingeschränkten Bedingungen durchzuführen. Nämlich nur dann, wenn...
* ...der Nutzer der Veränderung zustimmt.
* ...der Nutzer das Werk zurückgeben will oder das Werk nicht bezahlt - etwa, wenn seine Kreditkarte überzogen ist.
* ...eine gerichtliche oder behördliche Anordnung die Veränderung oder Löschung erforderlich macht.
* ...die Löschung oder Veränderung notwendig ist, um den Verbraucher, das Gerät selbst oder das Netzwerk, über das das Gerät kommuniziert, zu schützen. Etwa, wenn ein heruntergeladenes Buch ein Virus enthalten sollte.
Hintergrund der Löschung von Gawronskis Orwell-Büchern "1984" und "Animal Farm" war eine Copyright-Verletzung - der Verlag, der die Bücher über Amazons Plattform angeboten hatte, war gar nicht im Besitz der erforderlichen Rechte für die elektronische Verbreitung. Amazon folgte mit der Aktion also selbst einer gerichtlichen Anordnung - allerdings auf ausgesprochen rüde Weise. Die laut dem Dokument "weniger als 2000" betroffenen Kindle-Besitzer fanden eines Tages die gekauften und bezahlten Bücher einfach nicht mehr auf ihren Lesegeräten vor.
Ein internationaler Proteststurm war die Folge. Der Vorfall zeigte einer breiteren Öffentlichkeit, dass viele Geräte heute per Datenleitung oder Funkverbindung dauerhaft an den Servern des Herstellers hängen. Für Überwacher und Kontrolleure bieten sich völlig neue Möglichkeiten. Fachleute warnen vor den langfristigen Folgen einer zunehmenden Bindung an Konzerne über solche sogenannten "tethered appliances" - angebundene Geräte also.
Amazon-Gründer Bezos bittet um Verzeihung
Amazon-Gründer Jeff Bezos entschuldigte sich schließlich persönlich und nannte die Löschaktion "dumm, gedankenlos und schmerzhaft im Widerspruch zu unseren Prinzipien". Inzwischen hat man den betroffenen Kindle-Besitzern die Möglichkeit eingeräumt, die gelöschten Bücher wiederherzustellen, oder alternativ einen 30-Dollar-Einkaufsgutschein zu bekommen.
Im Falle Gawronski wurde die Sache wesentlich teurer - auch wenn Amazon die 150.000 Dollar kaum spüren dürfte. Viel entscheidender aber ist das Signal: Ohne ein formelles Urteil hat der Online-Buchhändler sich verpflichtet, in Zukunft vorsichtiger mit den Inhalten auf seinen Lesegeräten umzugehen, trotz theoretischer Allmacht über die im Funknetz eingebundenen Kindles.
Das Ergebnis dürften Hersteller anderer "tethered appliances", von iPhone und Blackberry bis hin zu Spielkonsolen, aufmerksam aufgenommen haben. Gawronskis Anwalt Michael Aschenbrener jedenfalls kommentierte die Einigung gegenüber "TechFlash" mit den Worten: "Das ist ein Signal an alle, die digitale Medien vertreiben, dass sie die Rechte der Nutzer an ihren Inhalten respektieren müssen."
([URL="http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,652787,00.html"]Spiegel Online[/URL])
Seattle - Justin Gawronski dürfte als der Schüler mit den teuersten Hausaufgaben der Welt in die Geschichte eingehen. 150.000 Dollar bekommen seine Anwaltskanzlei KamberEdelson LLC und er selbst vom Online-Buchhändler Amazon. Grund für den Geldsegen: Amazon hatte eine Digitalkopie von George Orwells "1984" von Gawronskis Kindle gelöscht.
"1984", Orwells Dystopie über einen fiktiven Überwachungsstaat, war die Schullektüre des 17-Jährigen gewesen. Er hatte den Kindle auch dazu benutzt, das Werk zu bearbeiten. Das Lesegerät bietet unter anderem die Möglichkeit, auf ihm gespeicherte E-Bücher mit Randnotizen - etwa für eine Hausarbeit - zu versehen.
Gawronskis Anwälte verwiesen auf "umfangreiche Notizen", die Amazon mit der Digitalkopie von "1984" zwar nicht gelöscht, aber durch das Verschwinden des Bezugstextes unbrauchbar gemacht habe. Die Kanzlei erhält nun 150.000 Dollar, wie den Unterlagen zu der Einigung zu entnehmen ist, die das US-Fachangebot "TechFlash" aus Seattle ausgrub und verlinkte.
Die Kanzlei selbst begnügt sich offenbar mit der Publicity, die ihr der Fall einbringen wird - in den Papieren ist explizit vermerkt, die Anwälte würden ihren Teil der 150.000 Dollar an "eine wohltätige Organisation" spenden, und zwar eine, die sich mit "Lesefähigkeit, den Problemen von Kindern, Bildung, Gesundheit oder Arbeitsplatzsuche" befasst. Welchen Anteil der stolzen Summe der Schüler selbst bekommt, wurde nicht mitgeteilt. Amazon wollte die Einigung nicht kommentieren.
Einigung mit Tragweite
Die Tragweite des Falls geht jedoch weit über die Strafzahlung hinaus: Amazon verpflichtet sich in dem Dokument zur außergerichtlichen Einigung auch dazu, solche Löschaktionen in Zukunft nicht mehr oder nur noch unter sehr eingeschränkten Bedingungen durchzuführen. Nämlich nur dann, wenn...
* ...der Nutzer der Veränderung zustimmt.
* ...der Nutzer das Werk zurückgeben will oder das Werk nicht bezahlt - etwa, wenn seine Kreditkarte überzogen ist.
* ...eine gerichtliche oder behördliche Anordnung die Veränderung oder Löschung erforderlich macht.
* ...die Löschung oder Veränderung notwendig ist, um den Verbraucher, das Gerät selbst oder das Netzwerk, über das das Gerät kommuniziert, zu schützen. Etwa, wenn ein heruntergeladenes Buch ein Virus enthalten sollte.
Hintergrund der Löschung von Gawronskis Orwell-Büchern "1984" und "Animal Farm" war eine Copyright-Verletzung - der Verlag, der die Bücher über Amazons Plattform angeboten hatte, war gar nicht im Besitz der erforderlichen Rechte für die elektronische Verbreitung. Amazon folgte mit der Aktion also selbst einer gerichtlichen Anordnung - allerdings auf ausgesprochen rüde Weise. Die laut dem Dokument "weniger als 2000" betroffenen Kindle-Besitzer fanden eines Tages die gekauften und bezahlten Bücher einfach nicht mehr auf ihren Lesegeräten vor.
Ein internationaler Proteststurm war die Folge. Der Vorfall zeigte einer breiteren Öffentlichkeit, dass viele Geräte heute per Datenleitung oder Funkverbindung dauerhaft an den Servern des Herstellers hängen. Für Überwacher und Kontrolleure bieten sich völlig neue Möglichkeiten. Fachleute warnen vor den langfristigen Folgen einer zunehmenden Bindung an Konzerne über solche sogenannten "tethered appliances" - angebundene Geräte also.
Amazon-Gründer Bezos bittet um Verzeihung
Amazon-Gründer Jeff Bezos entschuldigte sich schließlich persönlich und nannte die Löschaktion "dumm, gedankenlos und schmerzhaft im Widerspruch zu unseren Prinzipien". Inzwischen hat man den betroffenen Kindle-Besitzern die Möglichkeit eingeräumt, die gelöschten Bücher wiederherzustellen, oder alternativ einen 30-Dollar-Einkaufsgutschein zu bekommen.
Im Falle Gawronski wurde die Sache wesentlich teurer - auch wenn Amazon die 150.000 Dollar kaum spüren dürfte. Viel entscheidender aber ist das Signal: Ohne ein formelles Urteil hat der Online-Buchhändler sich verpflichtet, in Zukunft vorsichtiger mit den Inhalten auf seinen Lesegeräten umzugehen, trotz theoretischer Allmacht über die im Funknetz eingebundenen Kindles.
Das Ergebnis dürften Hersteller anderer "tethered appliances", von iPhone und Blackberry bis hin zu Spielkonsolen, aufmerksam aufgenommen haben. Gawronskis Anwalt Michael Aschenbrener jedenfalls kommentierte die Einigung gegenüber "TechFlash" mit den Worten: "Das ist ein Signal an alle, die digitale Medien vertreiben, dass sie die Rechte der Nutzer an ihren Inhalten respektieren müssen."
([URL="http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,652787,00.html"]Spiegel Online[/URL])