Streichliste - Steinbrück hinterlässt Schwarz-Gelb giftiges Vermächtnis

  • Streichliste - Steinbrück hinterlässt Schwarz-Gelb giftiges Vermächtnis

    Noch ist unklar, wie die neue Regierung die Milliardenlöcher im Haushalt stopfen will. Doch eine Liste aus dem Finanzministerium des scheidenden Amtsträgers Steinbrück macht der künftigen Koalition Vorschläge - vor allem betroffen: Rentner, Arbeitslose, Studenten.

    Berlin - Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Giftliste. Erarbeitet wurde sie im Finanzministerium, das noch vom SPD-Politiker Peer Steinbrück geführt wird. Das Papier wurde den künftigen Haushältern der schwarz-gelben Koalition übergeben - und es enthält brisante Vorschläge.

    Steinbrück hatte wiederholt erklärt, für Steuersenkungen gebe es eigentlich keinen Spielraum. 86,1 Milliarden Euro Nettokredite muss der Bund allein im Jahr 2010 aufnehmen. Bis 2013 muss daher die künftige schwarz-gelbe Regierung rund 30 Milliarden Euro einsparen, damit es kein Problem gibt mit der neuen Schuldenbremse im Grundgesetz.

    Schwarz-Gelb aber will an den im Wahlkampf versprochenen Steuererleichterungen festhalten. Am Freitag sagte CDU-Haushaltsexperte Steffen Kampeter, die Union werde der FDP in den Koalitionsverhandlungen Steuersenkungen in Höhe von 20 Milliarden Euro für die kommenden vier Jahre anbieten. Die Liberalen hatten 35 Milliarden Euro verlangt. Aber woher soll das Geld kommen? Ohne massive Einsparungen an anderer Stelle sind niedrigere Steuern nicht möglich.

    Genau um solche Einsparungen dreht sich das Papier der Fachbeamten aus dem Finanzministerium. Die Linke ist angesichts der diskutierten Sparvorschläge bereits alarmiert. Der stellvertretende Parteichef Klaus Ernst zu SPIEGEL ONLINE. "Die Umsetzung der Giftliste würde den sozialen Frieden in Deutschland gefährden."

    Schwarz-Gelb wiegelte am Freitag ab. In der zuständigen Arbeitsgruppe Steuern/Finanzen/Haushalt habe das Papier bislang keine Rolle gespielt, hieß es aus Koalitionskreisen.

    Arbeitslosenbeitrag
    Bis vor kurzem waren die Kassen der Bundesagentur für Arbeit (BA) gut gefüllt. Doch angesichts der Krise meldete sie im Sommer einen Bedarf von 15 bis 20 Milliarden Euro für das kommende Jahr an.
    Statt eines Zuschusses wollte die Große Koalition nunmehr ein Darlehen geben. In dem Papier wird vorgeschlagen, das Darlehen wieder in einen Zuschuss umzuwandeln - die Tilgung der aufgelaufenen Darlehensbeträge sei "nicht möglich".
    Im Gegenzug solle der von der Großen Koalition bis 2010 bei 2,8 Prozent eingefrorene Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf 4,5 bis 4,8 Prozent erhöht werden.
    Die Folge: "Der Bund muss in den Jahren 2011 bis 2013 keine Defizitzuschüsse gewähren." Im Finanzplan sind bislang für diesen Zeitraum 33 Milliarden an Zuschüssen eingestellt.

    Gesetzliche Rentenversicherung
    Geplant ist bisher, den Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung bis 2020 unter 20 Prozent zu halten - derzeit liegt er bei 19,9 Prozent. Eine Senkung auf 19,2 Prozent ab 2012 sei "nicht mehr realistisch", heißt es im Papier der Finanzbeamten.
    Sie schlagen daher vor: Die Rentner sollen künftig mehr zur Krankenversicherung beitragen. Derzeit zahlen sie wie Arbeitnehmer anteilig die Hälfte und seit 2005 einen zusätzlichen Beitrag in Höhe von 0,9 Prozent der Rente. Durch höhere Beiträge zur Krankenkasse seien "Einsparungen von jährlich acht Milliarden möglich".
    Außerdem schlagen die Beamten vor, die diversen Schutzklauseln anzugehen - und die von der Großen Koalition vorgenommene Aussetzung der Riester-Faktors, der die Rentenerhöhungen dämpfen sollte. Im Kern halten sie die Renten derzeit um drei Prozentpunkte zu hoch. Dies sollte ab 2011 bei künftigen Rentenanpassungen "abgebaut werden".
    In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Baustein der Vorschläge interessant: Weil die Entwicklung der Hartz-IV-Leistungen an die Rentenentwicklung gekoppelt ist, soll auch bei den Empfängern von Arbeitslosengeld II gekürzt werden. Konkret schlägt das Ministerium vor: "Eine Absenkung des Regelsatzes ALG II um 10 Euro monatlich (von 359 Euro auf 349 Euro) entlastet den Bund um 0,7 Milliarden jährlich."
    Ein Vorteil, den die Beamten auch unter dem Stichwort "Umsetzung" festhalten: Eine Änderung wäre nicht zustimmungspflichtig, bedürfte also nicht der Zustimmung durch den Bundesrat.

    Arbeitslosengeld, Wohngeld, Elterngeld
    Vor allem um Facharbeitern ab 50 zu helfen, die arbeitslos werden, hat die Große Koalition beim Übergang vom Arbeitslosengeld I auf das Arbeitslosengeld II einen befristeten Zuschlag eingeführt. Er gilt für maximal zwei Jahre und beträgt für Alleinstehende bis zu 160 Euro, in Partnerschaften bis zu 320 Euro. Durch den Wegfall dieses Zuschlags könnten von 2010 bis 2013 800 Millionen Euro eingespart werden.
    Kürzungen schlagen die Beamten auch bei den Eingliederungsbudgets vor. Aufgelistet ist unter anderem der Beschäftigungszuschuss und der "Kommunal-Kombi", ein Bundesprogramm zur Schaffung zusätzlicher sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze in Regionen mit besonders hoher Langzeitarbeitslosigkeit. Bei den Eingliederungsbudgets könnte 2010 eine Milliarde Euro gespart werden (vorgesehen sind im Finanzplan 6,9 Milliarden), von 2011 bis 2013 je weitere 1,5 Milliarden.
    Ein weiteren Sparansatz sehen die Beamten beim Heizkostenzuschuss, den die Bezieher von Niedrigeinkommen erhalten können. Hier schlagen sie die komplette Streichung vor. Von 2010 bis 2013 könnten jährlich 100 Millionen gekürzt werden. Knackpunkt: Änderungen beim Wohngeld bedürfen der Zustimmung des Bundesrats.
    Beim Elterngeld wollen die Beamten keine Erhöhung, sondern den bisherigen Betrag auf das Niveau von 2009 festschreiben. Das könnte ein Problem werden - war doch allein wegen der großen Akzeptanz des Elterngeldes 2009 eine Aufstockung des Elterngeldes um 255 Millionen Euro vorgenommen worden.

    Studenten
    Das Bafög ist die staatliche Unterstützung für Studenten an Hochschulen und anderen weiterführenden Bildungsstätten, und es war wiederholt ein Spielball der Politik in knapper Haushaltslage. Derzeit wird das Studenten-Bafög halb als Zuschuss, halb als Darlehen ausgezahlt. Die Beamten schlagen eine Umstellung auf ein Volldarlehen vor. Außerdem soll die Rückzahlungsverpflichtung, die bislang in der Höhe auf 10.000 Euro gedeckelt ist, auf 20.000 Euro verdoppelt werden. Von 2010 bis 2013 ließen sich so rund 1,4 Milliarden einsparen. Allerdings: Eine Änderung des Bafög müsste die Zustimmung des Bundesrats erhalten.

    Verteidigung
    Umstritten ist seit längerem die unter Rudolf Scharping als Verteidigungsminister angeschobene Modernisierung der Bundeswehr-Lufttransportflotte. Die veralteten Transall-Maschinen sollen durch den Großraumtransporter A400 M ersetzt werden, der von Airbus entwickelt wird. Deutschland will 60 Maschinen, sie sollen sukzessive ab 2011 bis 2017 ausgeliefert werden.
    Hier schlagen die Beamten eine Reduktion der Stückzahlen oder sogar einen Verzicht vor und weisen in einer Anmerkung darauf hin, dass der Bundesrechnungshof die Begrenzung auf 40 Transporter vorgeschlagen hat. Nach jetziger Finanzplanung koste eine Maschine 150 Millionen Euro. Von 2011 bis 2013 könnten laut Plan 600 Millionen Euro eingespart werden.
    Bei der Entwicklung des taktischen Luftverteidigungssystem MEADS, einer europäisch-amerikanische Kooperation, wollen die Beamten ganz aussteigen. "Dem Vernehmen nach wollen die USA sich aus dem Projekt zurückziehen, was weitere Kostensteigerungen zur Folge haben dürfte", heißt es. Ein Ausstieg würde von 2011 bis 2013 rund 458 Millionen Euro an Einsparungen bringen.
    Angehörige der Bundeswehr haben bislang Anspruch auf freie Heilfürsorge - sie werden durch den Truppenarzt beziehungsweise durch das Lazarett kostenfrei behandelt. Hier schlägt das Papier einen "kostenadäquaten Beitrag" der Soldaten vor. Dafür müsste das Bundesbesoldungsgesetz geändert werden. Einsparmöglichkeiten: Von 2010 bis 2013 pro Jahr 550 Millionen Euro.

    Film
    Der Posten des bisherigen Kulturstaatsministers Bernd Neumann ist im Kanzleramt angesiedelt. Der CDU-Politiker genießt in der Szene einen guten Ruf - weil er vor allem den Filmfonds ins Leben rief, für den der Bund jährlich 60 Millionen Euro zur Verfügung stellt und der deutsche und internationale Produktionen ins Land holt. Ein "Renner" sei der Fonds, jubelte Neumann noch unlängst. Im Finanzplan der Beamten soll der Fonds aber 2010 schon um die Hälfte auf 30 Millionen Euro gekürzt werden, im Jahr darauf gar um 50 Millionen und in 2012 komplett annulliert.

    Inneres
    Konkrete Sparvorschläge machen die Beamten bei den Integrationskursen und nennen ein Potential von bis 2013 jährlich 50 Millionen Euro. Gänzlich abschaffen würden sie die freie Heilfürsorge (kostenlose ärztliche Versorgung) für die Bundespolizei. Hier müsste der Bundesrat nicht zustimmen. Kosteneinsparung: 124 Millionen Euro ab 2010 bis 2013.

    Disponible Mittel
    In dem legendären 2003 von Peer Steinbrück und Roland Koch erarbeiteten Streichpapier waren pauschale Kürzungen vorgesehenen. In diesem Geiste haben die Beamten auch bei den sogenannten disponiblen Mitteln, die rechtlich nicht gebunden sind, Vorschläge unterbreitet. Im Jahr 2010 sind das rund 9,8 Milliarden Euro, 2011 rund 14 Milliarden, 2012 rund 18 Milliarden und 2013 rund 20 Milliarden. Das Finanzministerium schlägt vor, abgestuft pauschal zu kürzen: im kommenden Jahr 5 Prozent, 2011 dann 10 Prozent und 15 Prozent in den Jahren 2012/2013.

    Gesamtsparvolumen
    Unter dem Stichwort "Gesamtwirkung aller Sparoptionen" haben die Beamten des Bundesfinanzministerium die Größenordnungen von 2010 bis 2013 festgehalten. Zusammen mit den disponiblen und rechtlich gebundenen Maßnahmen ergibt sich eine beträchtliche Summe - rund 60 Milliarden, die im Bundestetat gekürzt werden könnten.

    ([URL="http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,655600,00.html"]Spiegel Online[/URL])
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