Ein Kommentar zum Ende des Kachelmann-Prozesses
"Der Angeklagte Jörg Kachelmann wird freigesprochen."
Als der vorsitzende Richter Michael Seidling diese Worte um 9.07 Uhr ausspricht, brandet kurz Jubel im Saal 1 des Mannheimer Landgerichts auf.
Viele TV-Sender hatten erst wenige Sekunden vorher vom Landgericht in die Sendestudios zurückgeschaltet, da verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer: Jörg Kachelmann ist ein freier Mann.
Das die Kammer nicht von der Unschuld des Wettermoderators überzeugt ist, macht Seidling in den folgenden 45 Minuten seiner Urteilsbegründung mehrfach klar: "Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist. Es bestehen aber begründete Zweifel an der Schuld von Herrn Kachelmann. Er war deshalb nach dem Grundsatz in dubio pro reo freizusprechen."
Ein „Freispruch zweiter Klasse“, wie es in so vielen Medien heute zu hören und zu lesen war.
Zehn Gutachter und 30 Zeugen wurden vernommen, über neun Monate verhandelt und ein wirkliches Urteil, eine Feststellung was in jener Nacht passiert ist, gibt es nicht, dafür die Einsicht, dass dem menschlichen Erkenntnisvermögen Grenzen gesetzt seien, so der Vorsitzende.
Doch noch bevor dieses Urteil rechtskräftig wird, steht eines fest:
Dieses Verfahren kennt keine Gewinner. Alle Beteiligten haben in diesem Prozess verloren.
Da wäre zum einen die deutsche Justiz. Sie hat in beispielloser Manier das Privatleben eines Angeklagten vor der Öffentlichkeit durchleuchten lassen. Ex-Freundinnen des Moderators plauderten munter aus dem Nähkästchen. Ob das wirklich zur Beurteilung der möglichen Vergewaltigung beitragen konnte darf zumindest angezweifelt werden. Hier hat das Gericht stark in die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten eingegriffen und ihn überhaupt nicht vor der Öffentlichkeit geschützt.
Die nächsten Verlierer sind die Kachelmann-Anwälte, die das Gericht zu einem Filmset umfunktioniert haben. Hier wurde teilweise hart an der Grenze gearbeitet und Aktionen wie beispielsweise das Hickhack um die Öffentlichkeit gewisser Aussagenteile des Opfers Silvia May (Name geändert) grenzten bereits an eine Farce.
Hier sei vor allem auch der vom Gericht gescholtene Johann Schwenn , der im November Kachelmanns ersten Anwalt Reinhard Birkenstock abgelöst hatte, zu nennen. Er habe geglaubt, der Kammer und dem Gericht "wie einem kleinen Kind auf die Finger klopfen zu müssen".
Auch Kachelmann und das angebliche Opfer stehen klar auf der Verliererseite. Neben den Kosten für das Verfahren (Kachelmanns Anwaltskosten dürften sich auf ca. 200.000€ und die der Nebenklägerin auf ca. 20.000€ belaufen) und den damit verbundenen finanziellen Schaden ist das Ansehen beider irreparabel geschädigt. Weder May noch Kachelmann werden vermutlich je wieder in der Öffentlichkeit arbeiten geschweige denn je wieder ein normales Leben führen können.
Das Verfahren und die dadurch öffentlich gewordenen Details lassen sich nicht ausblenden und der Verdacht, Kachelmann könne doch schuldig gewesen sein bzw. May könnte absichtlich falsch ausgesagt haben, wird die Zukunft beider komplett verändern.
Hinzu kommen die Belastungen des Verfahrens, das mit Ermittlungsverfahren und Untersuchungshaft mittlerweile über ein Jahr dauert, die eine psychische Schädigung bei beiden mehr oder weniger unumgänglich gemacht haben.
Der letzte Verlierer hat nicht unwesentlich alle anderen Beteiligten mit in den Sumpf gezogen: Die Medien.
Gekaufte Interviews mit Zeugen hier, intimste Details aus dem Leben des Angeklagten dort.
Dazu eine gehörige Prise Vorverurteilung bzw. verfrühter Freispruch.
Das hat mit Professionalität nichts zu tun und geht über die Pressefreiheit hinaus. Hier werden die Rechtsstaatlichkeit und die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten mit Füßen getretren.
Ein in meinen Augen untragbarer Zustand.
Und auch die letzten Worte des Vorsitzenden wirken für den neutralen Beobachter mehr wie eine Satire als wie ein ernst gemeinter Appell:
"Wir sind überzeugt, dass wir die juristisch richtige Entscheidung getroffen haben, Befriedigung verspüren wir dadurch nicht. Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht, ihn als potentiellen Vergewaltiger, sie als potentielle rachsüchtige Lügnerin. Wir entlassen beide mit dem Gefühl, ihren jeweiligen Interessen durch unser Urteil nicht ausreichend gerecht worden zu sein. Unterstellen Sie die jeweils günstigste Variante für Herrn Kachelmann und die Nebenklägerin. Nur dann haben Sie den Grundsatz in dubio pro reo verstanden. Nur dann kennt er nicht nur Verlierer, sondern neben dem Rechtsstaat auch Gewinner."
Welche Gewinner er damit meint und wie der Rechtsstaat nach einem neunmonatigen Prozess, der viele Fragen aber wenige Anfeindungen und Unsympathisanten offen lässt, als Gewinner dastehen soll, bleibt wohl Seidlings Geheimnis.
"Der Angeklagte Jörg Kachelmann wird freigesprochen."
Als der vorsitzende Richter Michael Seidling diese Worte um 9.07 Uhr ausspricht, brandet kurz Jubel im Saal 1 des Mannheimer Landgerichts auf.
Viele TV-Sender hatten erst wenige Sekunden vorher vom Landgericht in die Sendestudios zurückgeschaltet, da verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer: Jörg Kachelmann ist ein freier Mann.
Das die Kammer nicht von der Unschuld des Wettermoderators überzeugt ist, macht Seidling in den folgenden 45 Minuten seiner Urteilsbegründung mehrfach klar: "Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist. Es bestehen aber begründete Zweifel an der Schuld von Herrn Kachelmann. Er war deshalb nach dem Grundsatz in dubio pro reo freizusprechen."
Ein „Freispruch zweiter Klasse“, wie es in so vielen Medien heute zu hören und zu lesen war.
Zehn Gutachter und 30 Zeugen wurden vernommen, über neun Monate verhandelt und ein wirkliches Urteil, eine Feststellung was in jener Nacht passiert ist, gibt es nicht, dafür die Einsicht, dass dem menschlichen Erkenntnisvermögen Grenzen gesetzt seien, so der Vorsitzende.
Doch noch bevor dieses Urteil rechtskräftig wird, steht eines fest:
Dieses Verfahren kennt keine Gewinner. Alle Beteiligten haben in diesem Prozess verloren.
Da wäre zum einen die deutsche Justiz. Sie hat in beispielloser Manier das Privatleben eines Angeklagten vor der Öffentlichkeit durchleuchten lassen. Ex-Freundinnen des Moderators plauderten munter aus dem Nähkästchen. Ob das wirklich zur Beurteilung der möglichen Vergewaltigung beitragen konnte darf zumindest angezweifelt werden. Hier hat das Gericht stark in die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten eingegriffen und ihn überhaupt nicht vor der Öffentlichkeit geschützt.
Die nächsten Verlierer sind die Kachelmann-Anwälte, die das Gericht zu einem Filmset umfunktioniert haben. Hier wurde teilweise hart an der Grenze gearbeitet und Aktionen wie beispielsweise das Hickhack um die Öffentlichkeit gewisser Aussagenteile des Opfers Silvia May (Name geändert) grenzten bereits an eine Farce.
Hier sei vor allem auch der vom Gericht gescholtene Johann Schwenn , der im November Kachelmanns ersten Anwalt Reinhard Birkenstock abgelöst hatte, zu nennen. Er habe geglaubt, der Kammer und dem Gericht "wie einem kleinen Kind auf die Finger klopfen zu müssen".
Auch Kachelmann und das angebliche Opfer stehen klar auf der Verliererseite. Neben den Kosten für das Verfahren (Kachelmanns Anwaltskosten dürften sich auf ca. 200.000€ und die der Nebenklägerin auf ca. 20.000€ belaufen) und den damit verbundenen finanziellen Schaden ist das Ansehen beider irreparabel geschädigt. Weder May noch Kachelmann werden vermutlich je wieder in der Öffentlichkeit arbeiten geschweige denn je wieder ein normales Leben führen können.
Das Verfahren und die dadurch öffentlich gewordenen Details lassen sich nicht ausblenden und der Verdacht, Kachelmann könne doch schuldig gewesen sein bzw. May könnte absichtlich falsch ausgesagt haben, wird die Zukunft beider komplett verändern.
Hinzu kommen die Belastungen des Verfahrens, das mit Ermittlungsverfahren und Untersuchungshaft mittlerweile über ein Jahr dauert, die eine psychische Schädigung bei beiden mehr oder weniger unumgänglich gemacht haben.
Der letzte Verlierer hat nicht unwesentlich alle anderen Beteiligten mit in den Sumpf gezogen: Die Medien.
Gekaufte Interviews mit Zeugen hier, intimste Details aus dem Leben des Angeklagten dort.
Dazu eine gehörige Prise Vorverurteilung bzw. verfrühter Freispruch.
Das hat mit Professionalität nichts zu tun und geht über die Pressefreiheit hinaus. Hier werden die Rechtsstaatlichkeit und die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten mit Füßen getretren.
Ein in meinen Augen untragbarer Zustand.
Und auch die letzten Worte des Vorsitzenden wirken für den neutralen Beobachter mehr wie eine Satire als wie ein ernst gemeinter Appell:
"Wir sind überzeugt, dass wir die juristisch richtige Entscheidung getroffen haben, Befriedigung verspüren wir dadurch nicht. Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht, ihn als potentiellen Vergewaltiger, sie als potentielle rachsüchtige Lügnerin. Wir entlassen beide mit dem Gefühl, ihren jeweiligen Interessen durch unser Urteil nicht ausreichend gerecht worden zu sein. Unterstellen Sie die jeweils günstigste Variante für Herrn Kachelmann und die Nebenklägerin. Nur dann haben Sie den Grundsatz in dubio pro reo verstanden. Nur dann kennt er nicht nur Verlierer, sondern neben dem Rechtsstaat auch Gewinner."
Welche Gewinner er damit meint und wie der Rechtsstaat nach einem neunmonatigen Prozess, der viele Fragen aber wenige Anfeindungen und Unsympathisanten offen lässt, als Gewinner dastehen soll, bleibt wohl Seidlings Geheimnis.