Der Müll, die Stadt und der Tod: Fassbinder-Stück gilt als größter Skandal der Nachkriegsgeschichte

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  • Der Müll, die Stadt und der Tod: Fassbinder-Stück gilt als größter Skandal der Nachkriegsgeschichte

    Gieriger Jude heult sich bei Nutte aus, deren Papa Nazi-Verbrecher ist: Rainer Werner Fassbinders Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" gilt als größter Skandal der Nachkriegs-Theatergeschichte. In Mülheim läuft das Drama jetzt erstmals auf deutschem Boden - und erntet Achselzucken.

    Kaum waren die bösen Worte vom "reichen Juden" gefallen, über den sein hünenhafter Knecht sagt, man habe "vergessen, ihn zu vergasen", fiel der Pausenvorhang im Theater an der Ruhr, das in einer Parklandschaft weit außerhalb der Stadt Mülheim liegt, und ein großes absurdes Spektakel setzte ein.

    Zwei Handvoll Interviewer, bewaffnet mit Fernsehkameras oder Mikrofonen oder Notizblöcken, rangelten sich im Pausenfoyer des Hauses um aussagewillige Premierenbesucher, denen sie die zentrale Frage stellten: Dürfen solche Sätze ausgesprochen werden auf einer Bühne im Land der Nazi-Täter?

    Nicht selten aber ergab dieses Frage-Spiel die Paarung "Journalisten interviewen Journalisten". Man kann also mit einigem Fug und Recht sagen: Ein echtes Medienereignis war sie schon, diese erste Aufführung des Stücks "Der Müll, die Stadt und der Tod" in einem für jedermann zugänglichen deutschen Theater.

    Das Stück, das Rainer Werner Fassbinder 1975 nach einer Vorlage des Schriftstellers Gerhard Zwerenz schrieb, erzählt von einem reichen Juden, der sich von seinen Angestellten anhassen lässt und sich bei einer jungen Nutte ausheult. Deren Vater ist ein ewiger Nazi und bekennender Juden-Schlächter ("Es ist keine Last, der Mörder eines Juden zu sein"), das Mädchen aber möchte sterben und bittet den Juden, sie zu töten.

    Krawall und Protest

    Fassbinder war selbst schon drei Jahre tot, gestorben 37-jährig an Drogenwahnsinn und Erschöpfung, als die in Frankfurt angesetzte Uraufführung von "Der Müll, die Stadt und der Tod" 1985 für den lautesten Krawall der deutschen Nachkriegs-Theatergeschichte sorgte. Nach endlosen Debatten und wütenden Protesten durfte das Stück, in dessen Held viele deutlich die Karikatur des Frankfurter Immobilienmillionärs und jüdischen Politikers Ignaz Bubis erkennen wollten, am Ende nur zweimal hinter verschlossenen Türen gezeigt werden, ausschließlich vor Kritikern und geladenen Gästen.

    Am Mülheimer Premierenabend nun fand sich weit und breit keine Empörerin und kein Empörer. Vergeblich fahndeten die Kamerateams vor dem Theater nach Demonstranten oder anderweitig Aufgeregten, die gegen das Herzeigen des "Müll"-Dramas aufbegehrt hätten. In den Neunzigern hat man das kurze Werk immerhin bereits in New York und Tel Aviv gespielt und schon ein bisschen entspannter darüber gestritten, ob es sich um ein antisemitisches Machwerk handelt oder bloß um ein schlechtes Stück.

    Vor ein paar Monaten kündigten nun das allerorten geachtete, aber ein bisschen ins mediale Abseits geratene Theater an der Ruhr und sein altgedienter Prinzipal Roberto Ciulli an, das Stück im Rahmen eines "Fassbinder" betitelten Abends herauszubringen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland und die jüdische Gemeinde Duisburg/Mülheim schickten Abgesandte in die Proben - und baten in einer gemeinsamen Erklärung, das Theater solle "aus Respekt vor den wenigen Überlebenden des Holocaust und den Millionen von Toten auf die Aufführung verzichten".

    Ciulli lud trotzdem zur Premiere von "Der Müll, die Stadt und der Tod", das er als Mittelteil einer "Fassbinder" betitelten Trilogie zeigt. Aber um wovon genau eigentlich zu erzählen? Was macht der Regisseur, ein verdienter politischer Aufklärer und Freund der Commedia-dell'-Arte-Verfremdung, aus der höchst klapprigen Schundstory zwischen der jungen Hure und dem jüdischen Millionär?

    Schwammige Aufklärung

    Er gibt seiner jungenhaften Lieblingsschauspielerin Simone Thoma die Rolle des Häuser-Bonzen, den alle den "reichen Juden" nennen. Er lässt sie in einem offenen Sarg auf die als Asphalt-Gosse mit Fahrbahnmarkierungen ausstaffierte Bühne rollen, bleich geschminkt, in einer Schuluniform mit gelber Blume am Revers (die an einen Judenstern erinnern soll) und mit einem weißen, enganliegenden Wollkäppi auf dem Kopf. Ein bisschen sieht die Frau aus wie der Preußenkönig Friedrich Zwo in kurzen Hosen.

    Vergleichsweise unclownesk wirkt da die sehr junge, anmutig staksige Carlotta Salamon als blonde Hure Roma, die lange nur als stumme Schönheit auf einem Stuhl kauert, plötzlich sehr innig von ihrer Liebe zu dem fremden reichen Mann spricht und allerlei Todessüchtiges deliriert. Das schüchterne Wesen hat Fassbinder ebenso aus Alfred Döblins Romanen abgekupfert wie ihren Zuhälter namens Franz. Die Schauspielerin Salamon aber guckt sehr verschreckt, wenn ihr reicher Freier sie fürs Zuhören mit Geldbündeln belohnt und ihr berichtet, was für ein mächtiger, gieriger Kerl er sei: "Es ist mir egal, ob Kinder weinen."

    Rund um dieses Paar aber herrscht auf der Mülheimer Bühne der reine Travestie-Karneval, in dem beispielsweise ein Diener des reichen Mannes als Blinder herumstolziert und Romas Vater als Sängerin in Netzstrümpfen auftritt, wozu er seine Rassistensprüche schwingt. "Ich habe mich um den Einzelnen, den ich töte, nie gekümmert", sagt er zum Beispiel.

    So trägt die Judenhetze in Mülheim symbolisch Pappnase. Das tut garantiert keinem weh und geht durchaus als irgendwie gut gemeint im Sinne einer eher schwammigen Aufklärung durch, die Ciulli als "neue Lesart" des "gesunden Provokateurs" Fassbinder verstanden haben möchte. Klar quellen die antisemitischen Sprechblasen auf der Bühne nur deutlich erkennbaren Unsympathen aus dem Mund. Nur: Es ist nicht viel verloren, aber auch wenig gewonnen, wenn auf einer deutschen Theaterbühne Sätze gesagt werden, wie sie in Neonazi-Kneipen und unter rassistischen deutschen Biederbürgern ziemlich wahrscheinlich viel schlimmer zu hören sind.

    Genialisch hingerotzt

    Man kann es auch so sagen: Fassbinders Stück ist nicht zu retten. Ähnliches gilt übrigens für die anderen beiden in Mülheim gezeigten Dramolette, deren erstes "Nur eine Scheibe Brot" von einem deutschen Regisseur handelt, der mit einem KZ-Film über den Massenmord an den Juden berühmt werden will.

    Rainer Werner Fassbinder wird für ein paar seiner Filme, von denen "In einem Jahr mit 13 Monden" und "Lily Marleen" die besten sind, heute zu Recht in aller Welt verehrt, auch auf deutschen Bühnen spielt man einige seiner Kino- und Bühnenstoffe in letzter Zeit wieder ganz gern.

    In der Nachwelt herrscht also große Einigkeit darüber, dass der berühmte Dreisatz des amerikanischen Schriftstellers Truman Capote "Ich bin schwul. Ich bin hässlich. Ich bin ein Genie" auch von dem Mann hätte gesagt werden können, den sie RWF nannten.

    Nur muss man in all der Heldenverehrung für den in Bad Wörishofen geborenen und in München unter trostlosen Umständen gestorbenen Künstler nicht verschweigen: Der hyperproduktive Fassbinder hat viele seiner Werke genialisch hingerotzt.

    Manche davon, darunter "Der Müll, die Stadt und der Tod", sind der reine Schrott.

    ([URL="http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,652739,00.html"]Spiegel Online[/URL])
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