Neuer Bundestag nur ein Zerrbild?

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  • Neuer Bundestag nur ein Zerrbild?

    Deutschland ist vielseitig, ein Land mit unterschiedlichen Menschen und Biografien. Im Bundestag fehlt diese Vielfalt: Es gibt kaum Arbeiter, einige Migranten. Junge Erwachsene, Rentner oder Behinderte finden sich wenig. Kann dieses Parlament Deutschland richtig repräsentieren?

    Es sind 622. So viele Abgeordnete hat der neue Bundestag. 622 Männer und Frauen, die stellvertretend für mehr als 82 Millionen Deutsche Entscheidungen treffen sollen. Entscheidungen, die sie oft nicht selbst betreffen. Schon das Alter der Parlamentarier liegt über dem deutschen Durchschnitt von 42 Jahren. Der Jüngste ist 22, der Älteste 74 - und das Durchschnittsalter beträgt 49. Die meisten Abgeordneten haben Jura studiert und arbeiten in Dienstleistungsberufen. Handwerker und Arbeiter finden sich kaum.

    Politikwissenschaftler Joachim Behnke von der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen sieht in der Zusammensetzung des Bundestags trotzdem kein grundsätzliches Problem. «Entscheidend ist, dass die Interessen aller Bevölkerungsgruppen repräsentiert werden. Es gibt kein logisches Argument dafür, dass der Abgeordnete diese Interessen auch selbst besitzen muss», sagt er. Die Interessen von Kindern würden etwa wie selbstverständlich immer mit bedacht.

    Natürlich gebe es trotzdem Hinweise darauf, dass Politiker die «fremden» Interessen trotz bester Absichten anders interpretieren als ihre eigenen, sagt Behnke. «Es gibt also schon Argumente dafür, dass die Interessen einer Gruppe am besten vertreten werden, wenn sie selbst Repräsentanten haben. Die müssten aber nicht im gleichen Maße wie in der Bevölkerung vertreten sein.» Wichtiger ist nach Behnkes Ansicht, dass alle Bevölkerungsschichten in der Lage sind, ihre Interessen in den Meinungsbildungsprozess der Politiker einzubringen. «Das Problem, das im Augenblick besteht, ist ja nicht so sehr, dass man die Interessen bestimmter Gruppen bewusst vernachlässigen würde. Das Problem ist vielmehr, dass man sie möglicherweise gar nicht mehr mitbekommt, weil sie nicht in der Lage sind, sich über Verbände oder Lobbygruppen Gehör zu verschaffen.»

    Das gilt auch für Ausländer in Deutschland. Zwar hat jede Fraktion im Bundestag Abgeordnete mit Migrationshintergrund. Diese insgesamt 15 Parlamentarier stehen jedoch für 5,6 Millionen Deutsche mit Migrationshintergrund. Ganze Gruppen – etwa die Aussiedler aus Osteuropa - sind im Bundestag gar nicht vertreten.

    «Man muss den Abgeordneten immer wieder klar machen, dass sie Abgeordnete des gesamten deutschen Volkes sind. Dass sie nicht nur die Abgeordneten ihrer Wähler sind», fordert Behnke deshalb.

    Eine Reform des Wahlrechts, um bestimmte Gruppen im Parlament zu stärken, hält der Wissenschaftler für wenig realistisch. Feste Quotenregelungen würden schnell zu kompliziert werden, wenn man verschiedene soziale oder demografische Merkmale einbeziehen will. Auch eine Absenkung der Fünf-Prozent-Hürde würde keinen besonderen positiven Effekt bringen. «Ich denke, dass es insgesamt relativ wenige Möglichkeiten gibt, an das Wahlrecht ran zu gehen», sagt Behnke.

    Eine Lösung, um die Abgeordneten mehr auf das Wohl aller Deutschen zu verpflichten, sieht er in einer Stärkung der Direktwahl. Würde bei einer Bundestagswahl nur mit der Erststimme gewählt und daraus die Prozente der Partei ermittelt, könnten sich die Kandidaten individueller präsentieren. Zwänge aus den Parteien würden nicht mehr so stark wirken - und die Gewissensentscheidung der einzelnen Politiker gestärkt werden.

    (News.de)
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